014 - Michael Strogoff, Der Kurier des Zaren 1 by Jules Verne

014 - Michael Strogoff, Der Kurier des Zaren 1 by Jules Verne

Autor:Jules Verne [Verne, Jules]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2014-04-28T16:00:00+00:00


Der Tarantaß schwankte die ersten Vorberge des Urals hinan.

Zur Zeit der Abfahrt fiel noch kein Regen. Michael Strogoff hatte die das Wageninnere schützenden Ledervorhänge aufgehoben, sah hinaus und achtete scharf auf beide Seiten des Weges, die der zitternde Laternenschein mit phantastischen Schattenbildern belebte.

Unbeweglich, mit gekreuzten Armen schaute Nadia ebenfalls hinaus, während ihr Begleiter, mit halbem Körper aus dem Wagen herausgelehnt, den Himmel und die Erde musterte.

Die Atmosphäre war ganz still, aber drohend ruhig. Kein Luftteilchen rührte sich vom Platze. Man hätte sagen mögen, daß die halberstickte Natur nicht mehr atmete, und ihre Lungen, d. h. jene düsteren, dichten Wolken, aus irgendwelchem Grunde gelähmt, nicht mehr funktionieren konnten. Das Schweigen wäre ein absolutes gewesen ohne das Knirschen der Räder des Tarantaß, die die Kiesel der Straße zerrieben, ohne das Seufzen der Naben und überhaupt des Holzwerkes am Gefährte, ohne den keuchenden Atem des Gespanns und das Aufschlagen ihrer Hufe auf die Steine, die dabei lebhafte Funken sprühten.

Übrigens war die Straße vollkommen öde. Der Tarantaß begegnete weder einem Fußgänger noch einem Reiter oder einem Wagen bei dieser drohenden Nacht in den engen Schluchten des Urals. Kein Feuer eines Köhlers rauchte im Walde, keine Lagerstätte von Arbeitern eines Steinbruchs ward sichtbar, keine einzige im Gehölz verlorene Hütte. Es bedurfte solcher Gründe, welche kein Zweifeln und kein Zaudern erlauben, um eine Fahrt durch die Gebirgskette unter den gegebenen Verhältnissen zu unternehmen. Michael Strogoff hatte nicht gezaudert. Ihm war das wohl unmöglich; aber – und das fing doch an, ihm eine sonderbare Besorgnis einzuflößen – wer in aller Welt konnten die beiden Reisenden in dem seinem Tarantaß vorausgehenden Teleg sein; welch’ gewichtige Gründe hatten sie, so tollkühn zu handeln?

Eine Zeitlang versank Michael Strogoff in tiefes Sinnen. Gegen elf Uhr begannen die Blitze den Himmel zu erleuchten und setzten dann nicht mehr aus. Bei ihrem schnellen Scheine sah man die Silhouetten mächtiger Kiefern auftauchen und verschwinden, die an verschiedenen Stellen die Straße gruppenweise flankierten. Näherte sich der Tarantaß dem Rande der Straße, dann beleuchteten die brennenden Wolken tiefe Abgründe neben jener. Von Zeit zu Zeit verriet ein heftigeres Rollen und Stoßen, daß der Wagen eine Brücke aus Baumstämmen passierte, welche kaum zugehauen eine Höhlung des Weges überdeckten. Je höher sie hinauf kamen, desto mehr ertönte ein monotones Brausen in der Luft. Dazu mischten sich die aufmunternden Rufe des Jemschik, der bald Schmeichelworte, bald Schmähreden an seine Tiere verschwendete, welche mehr durch die Schwere der Atmosphäre als durch den Weg selbst ermattet schienen. Auch die Schellen des Deichselbogens vermochten sie nicht mehr aufzumuntern, und manchmal knickten sie fast zusammen.

»Wann werden wir auf dem Gipfel des Kammes anlangen?« fragte Michael Strogoff den Jemschik.

»Um ein Uhr früh… wenn wir überhaupt hinkommen!« antwortete dieser mit ungläubigem Kopfschütteln.

»Sag doch, Freund, das ist doch nicht dein erstes Gewitter hier in den Bergen, nicht wahr?«

»Nein, und gebe Gott, daß es auch nicht mein letztes ist.«

»Hast du Furcht?«

»Ich habe keine Furcht, aber ich wiederhole, daß du unrecht handeltest, abzufahren.«

»Ich hätte noch mehr unrecht gehandelt, wenn ich blieb.«

»Na, dann vorwärts, meine Täubchen!« erwiderte der Jemschik, als ein Mann, der nicht da war zu diskutieren, sondern zu gehorchen.



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